17. Kennenlerntreffen

Rituale

Bodo bat mich am ersten Abend, einen „Bericht“ zu schreiben über dieses Kennenlern-Wochenende in Attendorn. Ich war ziemlich entsetzt, erst ‚mal, weil er mir das zutraut und auch, weil ich das als überaus verantwortungsvoll empfinde. Und den Blumenstrauß, den er mir dieserhalb zukommen ließ, hängt zum Trocknen an der Decke über Trinchens Bild. Bodo, was hab‘ ich mich gefreut.

Teilweise wisst Ihr, mit welchen Gefühlen ich da hin gefahren bin. Vielleicht noch die Vorgeschichte: Bodo schrieb die Ankündigung für dieses Kennenlern-Wochenende auf die Pinnwand, ich las das, ziemlich kurz hinterher, frug sofort Karl-Heinz, ob er da nicht mit möchte und weltbester Göttergatte auf der ganzen Welt verkündete mir ganz klar ein schlichtes „Nö“. Er erklärte sich gerne bereit, mich da hin zu fahren, aber das mitmachen, ne, ginge ja gar nicht.

Ich belehrte ihn (ich bekehre gerne *grins*) und sagte, dass das keineswegs in Richtung Trauerseminar geht, sondern einfach ein Kennenlerntreffen ist, worauf mein Karl-Heinz „Na dann, klar, gerne“ sagte. Ich meldete uns SOFORT an, telefonierte dann mit den üblichen Verdächtigen und sagte dann Karl-Heinz (dazwischen kam dann das Bodo-Mail mit „Allet schick, wir freuen uns auf Euch“), dass das jetzt irgendwie blöd lief. Karl-Heinz sagte dann, dass das ja nicht schlimm sei, fährt er halt dann mit und gut ist’s, Bücher hat er eingepackt, DVDs ohne Ende, den Aldi-Stick, also alles gerüstet.

Wir also losgefahren, und es war schwierig, da aufzuschlagen. Wir haben natürlich die Gelegenheit genutzt und auf dem Weg dahin den ein‘ oder anderen Besuch gemacht und mit Lisa im Schlepptau kamen wir da schlussendlich an und Karl-Heinz und ich waren die einzigen, die, außer Lisa, keinen kannten. Alle anderen begrüßten sich herzlichst, aber in ganz kurzer Zeit waren auch wir „da“. Bodo sagte am ersten Abend, dass es für ihn in Attendorn jedes Mal wie nach Hause kommen ist, da schüttelte ich innerlich leicht den Kopf – das tu‘ ich nicht mehr, inzwischen kann ich es mir vorstellen, wir freuen uns schon jetzt auf das nächste Mal.

Nach einem sehr leckeren Abendessen gingen wir in unseren Raum, so ‚was von liebevoll gestaltet, das glaubt Ihr nicht, noch jetzt bin ich ganz platt, was haben sich alle für Mühe gemacht.

Tina fing dann an, hatte den Gesprächsstein in der Hand, links neben ihr saß Karl-Heinz und rechts neben ihr einfach IHR angetrauter weltbester Göttergatte; Tina hatte den Stein in der Hand, startete eine kurze Vorstellungsrunde und ich dachte dabei immer nur „Himmel, Frau, gib den Stein Bodo, aber NICHT Karl-Heinz, das ist kein Redner“ – und Tina hat meine Gedanken gehört (und mir hinterher, als wir d’rüber sprachen, ein indigniertes „NIEMALS werde ich den Stein einem geben, der neu da ist“ *anbet* gesagt) und so machte Bodo weiter für die kurze Vorstellungsrunde. Danach kam Horst und der redete und danach Marita, die den Stein mit „Gut, dass der so viel redet, brauch‘ ich nix sagen“ weitergab – was fand ich das so schön.

Der Stein machte die Runde, alle, es war so berührend, so offen auch, so vertrauensvoll haben wir uns in unsere Hände gelegt – bis auf meinen Mann, der der Runde schlicht, sehr überspitzt gesagt, „Bleibt mir davon“ sagte und auch ein überaus charmantes „Ne, das will ich nicht, ich bin nur wegen meiner Frau hier“, Horst griente, weiß ich, ich hab’s gesehen – na, und dann kam die zweite Kennenlernrunde. Wo jeder ‚was ausführlicher sprach, so auch Horst, und Christa wieder den Stein dankbar weiter gab und so tat ich das auch. Ausführlich hab‘ ich gesprochen, damit Karl-Heinz auch die Möglichkeit hat, den Stein an Tina weiterzugeben.

Ich redete und redete und gab den Stein Karl-Heinz, und glaubt es oder glaubt es nicht: Der REDETE. Also: REDETE. Der hat echt gesprochen, vor der Gruppe, von seiner Eva-Angela, von der ich natürlich wusste, auch er hat ein Kind verloren, 6 Tage alt, von Trinchen – glaubt mir: NIE im Leben hätte ich das für möglich gehalten, dass er darüber so „öffentlich“ sprechen kann, niemals. Bodo und Tina haben nach dieser Runde, Karl-Heinz war ja der letzte, noch einen Sonnenstrahl gemacht für Eva-Angela, eine Kerze hergezaubert, Karl-Heinz hat sich auf alles eingelassen, ich staunte meinen Mann an, das glaubt Ihr nicht.

Dann in’s Kaminzimmer, ich war so voll, dann war Uwe noch so unendlich lieb, ach, alle, ich hab‘ mich so gefreut, die Spatzenmami kennenzulernen und das war ein Abend, das kann ich nicht beschreiben.

Azubis, die wir ja beide noch sind, wissen nix, haben keine Ahnung. Kommen da hin, sind einfach unerfahren und haben keinen Plan. Das stimmt auch alles, aber glaubt mir: Als Karl-Heinz und ich um eins oder so, ich weiß es nicht, hoch sind, da saßen wir in unserem Zimmer (sehr schön übrigens) und redeten. Und redeten und redeten und redeten. Und heulten, wollt Ihr gar nicht wissen. Wir haben in dieser Nacht mehr geredet als die letzten wie viele Wochen hier, wollt Ihr auch nicht wissen. Und alleine das – ich bin jetzt noch ganz voll.

Wir haben allesamt so viel zusammen geredet, wir haben sehr einfühlsam vorgetragene Texte gehört, wir haben Musik gehört, wir sind so reich beschenkt nach Hause. Wir waren beide, sowohl Karl-Heinz als auch ich, unglaublich geplättet, in welcher affenkurzer Geschwindigkeit man sich anfassen konnte, wie schnell jeder auf den anderen geguckt hat, so ‚was haben wir vorher noch nicht erlebt.

Für uns war an diesem Wochenende viel „besonders“. Besonders, ganz egoistisch, Karl-Heinz und ich, die wir es durch dieses Treffen schafften, wieder ‚mal zu reden, zusammen zu weinen und für mich auch, Eva-Angela, Karl-Heinz‘ Tochter, nah sein zu können. Nein, zu dürfen.

Was ich auch noch unbedíngt schreiben möchte: Wir haben Luftballons steigen lassen, und ich fand es unendlich schön, dass wir das nicht „nur“ für unsere Kinder tun konnten, sondern auch für „fremde“. Tina, Marita, Bodo, Horst, ich fand das so schön, dass ich für die meinen Herzkinder auch Luftballons steigen lassen durfte, das kann ich Euch gar nicht sagen.

Ja, um nun endlich zum Ende zu kommen (ist der Erstentwurf, Bodo kloppt mich bestimmt in die nächste Tonne), möchte ich Tina ‚mal ein dickes, dickes Lob aussprechen. Wobei „Lob“ falsch ist. Ich lob‘ meinen Hund, wenn er brav an der Leine geht. Ob Tina das tut, weiß ich nicht :-), aber sie war so angespannt dieses Wochenende, sie war so voll Sorge – und trotzdem hat sie es geschafft, uns nicht eine Minute „unbeaufsichtigt“ zu lassen, sie war so „da“, ach Tina, das klingt jetzt blöd. Trifft es auch nicht.

Ich hoffe, Du weißt trotzdem, was ich meine.

So blöd das klingt, ich hab‘ mit diesem Bericht eine Verantwortung. Und ich muss ja dann auch wirklich alles berichten. Und ich scheue mich auch nicht *lach*.

So kann ich Euch sagen: Wir holten Lisa vom Bahnhof, schlugen an dieser Akademie auf, uns kam ein Baum von Mann entgegen, der Lisa liebevoll in den Arm nahm. Die kannten sich, definitiv. Aber der nahm mich auch in den Arm und Karl-Heinz auch. Der Baum war Bodo, und meine geplante Ehrfurcht für ihn war davon, hach, auch nur ein Mann, aber so ein lieber!!!

Schmeiß‘ einer ein Besteck ‚runter, flitzt Ernst sofort, das Kaminzimmer besetzen. Schmeißt einer das nächste Besteck ‚runter, flitzt Bodo. Ist denen auch wurscht, machen die auch Sonntag Mittag. Man kommt da hin, ist gar nicht so schnell da, wie man überfallen wird, zack, muss man Schreibtisch transportieren (nein, Karin, darf *knutsch*), brav trappert man mit Mitbringseln in Form von Köstritzer Bier ungefähr 10 Mal durch den Flur, bis die Geschenke die Empfängerin erreichen, man hat völlig unverhofft unglaubliche Gespräche, die mich noch lange verfolgen werden (Agnes, ich denke so oft an Dich), man hat Anblicke, die mich jetzt noch Gänsehaut stehen lassen und ich bin da weggefahren, ne, Karl-Heinz, aber ich so voll, und auch Karl-Heinz.

Ich muss auch „maulen“, klar, nichts ist perfekt. Für mich persönlich war an diesem Wochenende ganz schlimm, dass ich „Martina“ war, jeder hat mich so angeredet (hatte ja auch ein Namensschild, wo das d’rauf stand), das fand ich grauslich. Ich hab‘ mich auch so angemeldet, so heiß‘ ich ja auch, aber das sagt kein Mensch zu mir. Aber klar, Tina ist ja nun Tina, aber ich fand es ganz schlimm, dieses so schöne Wochenende mit diesem „Martina“ leben zu müssen. „Martina“, wenn das meine Eltern gesagt haben, dann war Ärger angesagt, aber heftiger. Und so alt ich bin – das hab‘ ich noch d’rin in mir. Aber Problem erkannt und Problem gelöst, das nächste Mal melde ich mich einfach mit meinem zweiten Vornamen an, fertig.

Weiter musste ich leider feststellen, dass das Kreativ-Sein anderen Menschen gegeben ist, Karl-Heinz nicht und mir noch viel weniger. Aber das Ergebnis kann sich dank der Gruppe durchaus sehen lassen und inzwischen hängt er auch, Bodo.

Resümierend (was ein Wort) kann ich nur sagen:

Auf, auf!

Macht Euch hinne, schleppt Eure Männer mit (es wäre ein leichtes gewesen, Bodo anzuschreiben und „Ne, funkt nicht, nur ein Einzelzimmer“ zu sagen, ich bin unendlich froh, es nicht getan zu haben), und wer Zweifel hat, kann bestimmt Horst fragen. Horst, das war so schön, als Du das genau so sprachst, dieses „Ne, mit so ‚was bleib‘ mir davon“ am ersten Abend Eures ersten Wochenendes und seither immer und immer wieder kommst, das hat mich so berührt.

Zum nächsten Treffen jedenfalls, wir sind dabei, das könnt Ihr glauben.

Es ist ja nicht „nur“ dieses Kennenlernen, man nimmt ja auch so viel mit. Im Leben nicht werde ich den Blick auf diese aufsteigenden Luftballons vergessen (und die Mamas, die am Haus blieben, sagten, dass das von ihrer Sicht so aussah wie ein Herz, stellt Euch vor), und ich werde auch immer ganz fest im Herzen haben, wie mein Männe und ich da in unserem Zimmer saßen und die vier Karten dafür beschrifteten und dabei lachten und heulten, ich weiß jetzt dank Euch, dass auch ich Rituale hab‘, dafür dicken Dank Dir, Tina, ich hab’s wirklich nicht gewusst, jeden Tag haben wir Freude an den Ästen, an denen die Bänder hängen, wie sie flattern, wenn ich ‚raus geh‘ zum rauchen.

Liebe Foris: Wann und wie immer es Euch möglich ist: Fahrt da hin. Schon wegen der Bestecke, die stürzen und vor allem wegen der Kraft, die ausgeht von so vielen, von der Stärke, die da ist und die wir uns auch gegenseitig gegeben haben. Das hat uns auch so fasziniert, zack, waren wir alle gleich. Sind wir ja auch. Trinchens Tod ist heute 214 Tage her, und es tut einfach unendlich gut, die „Ollen“ zu sehen und so zu erleben, dass es weitergehen kann. dass es ein Leben „danach“ gibt, wie auch immer. Und dass man trotzdem Rotz und Wasser heult, kurz nachdem man Tränen gelacht hat – und alles ist gut und alles ist schick.

Ich habe es unendlich genossen, es war so anstrengend, und ich kam oft an meine Grenzen, auch Karl-Heinz, aber ich kann nur sagen: Gigantisch. Da findet nix mehr ohne uns statt, das könnt Ihr glauben. Wir waren neulich beim Essen und wir sprachen da irgendwie mit mittlerem Sohn d’rüber und ich sagte, dass nix mehr geht mit ohne uns und Karl-Heinz „Wie, was weiß ich da denn schon wieder nicht?“ (der zickt gerne *lach*), aber ich lächelte ihn nur an und er lächelte zurück und das Thema war gegessen.

Wir freuen uns beide auf das nächste Wochenende!!!

Liebe Grüße und „Passt schön auf Euch auf“

Tina mit ohne mein‘ Trinchen

Unsere Eltern mit den Namen unserer Kinder:

Stehend: Horst (Stephanie), Karl-Heinz (Eva-Angela), Willi (Inken), Ernst (Nicole), Martina (Katharina), Tina (Yannis), Claudia (Hannah Louisa), Helga (Anna), Ellen (Anne), Marietta (Jessica), Lisa (Nils), Agnes & Michael (Nils)
Knieend: Karin (Karsten), Josette (Nicole), Katrin (Markus), Christa (Inken), Heike & Uwe (Bastian), Marita (Stephanie)

Liebe Tina: Du hast uns an deinen ganz persönlichen Eindrücken teilhaben lassen, ganz herzlichen Dank dafür!
Tina & Bodo

Alle Bilder © Copyright „Leben ohne Dich“