7. Kennenlerntreffen

Bericht der „neuen“ Mutter Ellen

Es war wieder so weit. Am Samstag, dem 19.03.05 trafen zwischen 11:30 und 14 Uhr aus ganz Deutschland insgesamt 22 betroffene Eltern, eine Schwester sowie ein evangelischer Pfarrer, der die „Leben ohne Dich“ – Selbsthilfegruppe in Mülheim regelmäßig begleitet, in der „Politischen Akademie“ in Attendorn am Biggesee im Sauerland ein. Etliche Teilneh-merInnen kannten sich schon aus der SHG oder von früheren Treffen, knapp die Hälfte war – wie mein Mann und ich – zum ersten Mal in Attendorn dabei. Der Tagungsort im Sauerland hat sich wiederum bewährt, da er sehr zentral in Deutschland gelegen ist.

Mein Mann und ich kamen sicher nicht als einzige mit etwas gemischten Gefühlen an. Wir wussten ja nicht so genau, was uns erwarten würde. Das Gebäude selbst vermittelte zunächst einen eher nüchternen Eindruck. Doch schon auf dem Weg vom Parkplatz zum Gebäude wurde ich von einer anderen betroffenen Mutter, die mich anhand unseres Autokennzeichens sofort identifizierte, herzlich angesprochen.

Pünktlich um 12 Uhr fand dann die erste Jahreshauptversammlung des vor einem Jahr neu gegründeten „Leben ohne Dich“ e.V. statt. Es hat sich als sinnvoll erwiesen, diese Versammlung mit dem Kennenlerntreffen zu kombinieren, da viele der TeilnehmerInnen ohnehin zum Kennenlerntreffen kommen wollten.

Nach der Mitgliederversammlung wurden im Foyer der Akademie erste vorsichtige Kontakte geknüpft – durch das Tragen von Namensschildern erleichtert, denn die meisten Namen waren einem aus dem Internet-Forum ja schon bekannt.

Nach dem stärkenden Kaffeetrinken im Speisesaal trafen wir uns in einem der beiden uns zur Verfügung stehenden Gruppenräume. Beim Betreten des Raumes merkte man sogleich, mit wie viel Liebe Tina und Bodo mit einigen Helfern unser Treffen vorbereitet hatten. Die Mitte war traditionsgemäß mit einer Sonne gestaltet, auf deren Strahlen die Namen unserer Kinder standen, die uns hier zusammengeführt hatten. Alle Teilnehmer brachten eine mitgebrachte, oft sehr schön dekorierte Kerze sowie ein Foto ihres Kindes zu seinem Sonnenstrahl.

Viele gelbe Osterglocken und eine Vase mit knospenden Zweigen verbreiteten eine frühlingshafte Atmosphäre im Raum. Ute und Carmen hatten auch jeweils eine Kerze speziell für dieses „Leben ohne Dich“ – Treffen gestaltet. Auf einem von Carmen bemalten Tuch waren die Namen unserer Kinder mit Geburts- und Sterbedatum zu lesen. Ein buntes Tuch mit einer Sonne und verschiedene andere Utensilien vervollständigten den Eindruck eines Raumes, in dem man sich wohlfühlen konnte.

Nachdem wir alle im Stuhlkreis Platz genommen hatten, erklang meditative Musik. Tina eröffnete sodann die Vorstellungsrunde. Sie wies noch einmal ausdrücklich darauf hin, dass jeder Teilnehmer des Treffens an allen Aktionen teilnehmen darf, aber nicht muss. Jeder konnte so viel oder wenig von sich und seinem Kind erzählen, wie er wollte. Dabei durfte man sich an einem Teelichthalter in Herzform „festhalten“, der dann jeweils an den Nachbarn weitergereicht wurde.

Vielfach unter Tränen berichteten die einzelnen Teilnehmer von ihren oftmals sehr erschütternden Schicksalen.

Nach kurzer Pause ging es dann weiter mit einer „Schmetterlingsaktion“. Zunächst las Bodo die „Fragen vom Schmetterling“ zur Dauer des Lebens und dem, was davor und danach kommt, vor. Unter Silvias Moderation malte jeder Teilnehmer einen Schmetterling aus festem Papier an und schnitt ihn aus. Auf die Rückseite sollten wir bis Sonntag unsere Gedanken für unser verstorbenes Kind schreiben.

Bodo erzählte uns im Anschluss vom Schmetterlingsalphabet. Ein schwedischer Naturfotograf hat innerhalb von 25 Jahren sämtliche Buchstaben des Alphabetes als Strukturen auf Schmetterlingsflügeln finden können. Diese Buchstaben kann man als Originalfotos bestellen. Tina und Bodo hatten das für uns getan, so dass alle Teilnehmer die Namen ihrer verstorbenen Kinder im Schmetterlingsalphabet geschenkt bekamen. Alle empfanden das wohl als ein wunderschönes Geschenk und Andenken an ihre Kinder.

Nun schmückten wir noch Zweige mit bunten Bändern, auf die wir wiederum Gedanken an unsere Kinder schrieben.

Der offizielle Teil dieses Samstages wurde mit einer „Wohlfühlrunde“ beschlossen, jeder Teilnehmer gab an, wie er sich nun fühlte.

Da fast alle hungrig waren, traf man sich dann gleich im Speisesaal. Alle, die schon öfter an den Kennenlerntreffen teilgenommen hatten, wussten, dass der Abend im Kaminzimmer immer sehr gemütlich war. Da das Kaminzimmer aber ein Gemeinschaftsraum ist, den sich alle anwesenden Gruppen teilen müssen, sollten diejenigen, die als erste mit dem Essen fertig waren den Raum „besetzen“. Doch es war auch eine Fastengruppe im Haus untergebracht. Diese war natürlich mit dem Abendessen schneller fertig als wir und hatte das Kaminzimmer schon okkupiert. Man fand dann aber rasch eine friedliche Einigung, und es wurde ein gemütlicher Abend am offenen Kamin mit vielen intensiven Gesprächen in Kleingruppen. Man erzählte, lachte, trank und aß. Dega möchte ich an dieser Stelle besonders erwähnen, sie stärkte uns an diesem Abend mit allerlei Leckerem, was sie in ihrem Bus extra für uns mitgebracht hatte.

Nach einer mehr oder wenigen kurzen Nacht trafen wir uns am nächsten Morgen nach dem Frühstück wieder in unserem Gruppenraum. Im Anschluss an eine „Blitzlichtrunde“, in der sich jeder kurz über seine derzeitige Befindlichkeit äußerte, wechselten wir in unseren zweiten Gruppenraum, in dem Tina und Bodo bereits alles für uns vorbereitet hatten, um ein Scherbenbild zu gestalten. Mit den bereitgestellten Utensilien und mitgebrachten kleinen Erinnerungsstücken fertigten wir – oftmals unter heftigen Emotionen – ein neues Andenken an unsere Kinder. Es entstanden wunderschöne Werke.

Während die Bilder trockneten wechselten wir wieder in den ersten Raum. Bodo las uns nun die „Bohnengeschichte“ vor. Alle Teilnehmer bekamen ein Säckchen Bohnen geschenkt, um die positiven Kleinigkeiten, die es ja auch in unserem Leben noch gibt, besser zählen zu können.

Danach sangen wir gemeinsam das bewegende Lied „Bridge Over Troubled Water“ von Simon & Garfunkel. Tina erklärte, dass dieser wunderschöne, herzergreifende Song mittlerweile zur Hymne der verwaisten Eltern geworden sei, die ihren Ursprung in England (Compassionate Friends) haben.

Zum Abschluss unseres zweitägigen Kennenlerntreffens machten wir bei mittlerweile wunderschönem Frühlingswetter noch einen kleinen Spaziergang zu einem nahegelegenen. Acker. Dort ließ jeder von uns einen Luftballon in den Himmel steigen, an dessen Schnur der Schmetterling befestigt war, auf dem wir am Vortag eine Botschaft für unser Kind geschrieben hatten. Lange noch schauten wir den Ballons nach, bis wir sie nicht einmal mehr als Punkte am Himmel erkennen konnten.

Zurück in der Akademie setzten wir uns noch ein letztes Mal zu einer Befindlichkeitsrunde zusammen, bevor sich alle nach dem gemeinsamen Mittagessen auf den Heimweg machten – reich beschenkt, nicht nur mit dem Schmetterlingsnamen unserer Kinder, den schönen Osterglocken, dem Scherbenbild, sondern auch mit vielen neuen Erfahrungen und auch Freundschaften.

Unsere Eltern:

hinten: Dirk + Marion (Jessica), Sonja + Carsten (Tomek Joke), Sandra (Jan-Erik+Julius),
Harry (Steffi), Volker, Bernd + Silvia (Fabienne), Hans-Peter (Stefan)
knieend: Udo + Ellen (Anne), Evi + Helmut (Stefanie), Birgit-hinten (Stefan), Hildegard (Franz), Ina-hinten (Johanna), Tina (Yannis), Ute-hinten (Jörg), Carmen (Fabian), Martina (Stefan)

Vielen Dank, liebe Ellen, für diesen sehr schönen Bericht Deiner Eindrücke. Tina & Bodo

Alle Bilder © Copyright „Leben ohne Dich“